Wie kann man aus Kapitalerträgen oder Dividenden ein passives Einkommen generieren und wann ist das sinnvoll? Zusätzlich zu Erklärungen und Anekdoten leite ich in diesem Artikel Zusammenhänge mathematischer her 🥳*Dieser Smiley zelebriert die Existenz von Mathemitak in diesem Aufschrieb. Übrigens sind Dividenden natürlich auch eine Art Kapitalertrag. Ich wollte sie nur nochmal extra erwähnen, da sie in diesem Artikel eine besondere Rolle spielen.
Bevor ich hier weiter über ein Finanzthema schreibe, weise ich darauf hin, dass ich so gar kein Finanzexperte bin, sondern nur eine Privatperson, die sich für ihre eigene Altersvorsorge und andere Finanzthemen interessiert, daher solides Halbwissen anhäuft und dabei auf seinen mehr oder weniger gesunden Menschenverstand vertraut.
Dividende
Manche Aktiengesellschaften also Firmen, deren Anteile man am Aktienmarkt erwerben kann, zahlen einen gewissen Betrag aus, um ihre Anteilseigner an ihren Gewinnen zu beteiligen. Diese Gewinnbeteiligung heißt Dividende. Der Wert der Aktien fällt nach Auszahlung der Dividende um den entsprechenden Betrag. Die Auszahlung von Dividenden kommt aus Anlegersicht also dem Verkauf von Anteilen im Wert der Ausschüttung gleich*Das stimmt nicht ganz. Für Dividenden fällt Kapitalertragssteuer an. Für den Verkauf von Anteilen fallen nur Steuern an, wenn es sich um realisierte Kursgewinne handelt. Dafür werden für Verkäufe oft Transaktionskosten fällig, die bei den aktuellen Angeboten wohl vernachlässigbar sind..
Passives Einkommen
Unter passivem Einkommen verstehe ich ein Einkommen, das nur indirekt an meine Arbeitszeit gebunden ist. Ich versuche das anhand einiger Beispiele zu verdeutlichen.
Passives Einkommen bezieht man, wenn man…
- ...einen Sci-Fi-Roman geschrieben hat und an dessen Verkauf verdient.
- ...Kapitalerträge entnimmt, z.B. in Form von Dividenden.
- ...der Besitzer eines Dienstleistungsunternehmens ist und die Mitarbeiter auf Stundenbasis abrechnet und ausquetscht, man selbst aber an den Gewinnen des Unternehmens verdient.*Auch ohne Ausquetschen wäre das Einkommen passiv.
Aktives Einkommen bezieht man, wenn man…
- ...angestellt ist und für 35 Stunden Arbeit pro Woche ein Gehalt von 100000 Euro pro Jahr bezieht*Ich habe bewusst ein für Deutschland deutlich überdurchschnittliches Gehalt bei einer unterdurchschnittlichen Stundenanzahl als Beispiel gewählt, um klar zu machen, dass ich natürlich auch das für aktives Einkommen halte.*Übrigens gibt es für Angestellte in Deutschland eine interessante Anwendung des Bundesamts für Statistik zum Gehaltsvergleich, die meiner Erinnerung nach deutlich akurater ist als alle anderen, die ich bisher gesehen habe..
- ...als freischaffender Clown für seine Darbietung einen gewissen Stundensatz erhält.
Die Beispiele verdeutlichen, so hoffe ich jedenfalls, dass passives Einkommen nicht notwendigerweise den faulen Lenz impliziert. Ein Buch zu schreiben ist genauso Arbeit wie ein Unternehmen zu leiten. Auch für Investitionen in den Kapitalmarkt müssen die Meisten das zu investierende Geld erarbeiten.
Altersvorsorge durch Investitionen in die Weltwirtschaft
Mit meinem ersten Gehalt hatte ich vor einigen Jahren auch mein erstes Gespräch mit einem Vertreter der Deutschen Vermögensberatung. Die angebotenen Produkte haben mich damals nicht überzeugt. Ich wollte nicht die Versicherungswirtschaft durchfüttern, ohne dafür einen adäquaten Gegenwert zu erhalten. Mangels Alternativen habe ich zur privaten Altersvorsorge dann monatlich Geld auf ein de facto unverzinstes Tagesgeldkonto eingezahlt. Mit dem Aktienmarkt hatte ich mich damals nur sehr oberflächlich beschäftigt. Dinge wie Hochfrequenzhandel und überbezahlte Fonds-Manager kamen mir sehr suspekt vor. Einige Jahre später hatte ich immer noch keine Alternative zu meinem Tagesgeldkonto gefunden. Dafür fiel mir ein trockenes Buch*Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen, Gerd Kommer, 2015 über ETFs in die Hände. Kurz gesagt sind ETFs unter anderem ein Finanzinstrument, das Privatanlegern sehr einfach eine breit diversifizierte Investition in den weltweiten Aktienmarkt erlaubt. Die Rendite entspricht dann vereinfacht dem Wachstum der Weltwirtschaft. Es hat allerdings noch einige weitere Jahre gedauert, bis ich dem Inhalt des Buches vertraut und angefangen habe mit ETFs meine private Altersvorsorge zu organisieren.
Dividenden als passives Einkommen
Vor kurzem habe ich mit einem Freund Kurzmitteilungen ausgetauscht, der eine ähnliche Strategie zur privaten Vorsorge fährt. Neben seinem Sparplan in den weltweiten Aktienmarkt hat er nun allerdings Geld in Aktien investiert, die besonders viel Dividende ausschütten, um auch jetzt schon passives Einkommen zu generieren und evtl. weniger arbeiten zu müssen. Ein zusätzlicher Einkommensstrom, für den man nicht arbeiten muss, fühlt sich bestimmt gut an.
Mein erster Gedanke war, dass es gar keinen Sinn ergibt, jeden Monat einen gewissen Betrag als Altersvorsorge in den Aktienmarkt zu investieren, und gleichzeitig einen anderen Betrag wieder zu entnehmen. Denn Dividenden beziehen ist identisch zum Entnehmen von Kapital aus dem eigenen Aktienportfolio. Man kann also einfach die Sparrate senken. Dann hat man wie bei einem passiven Einkommen jeden Monat mehr Geld zur Verfügung. Zusätzlich muss man Dividenden oberhalb des Freistellungsauftrags besteuern, wobei der emsige Sparer doch möchte, dass jeder Euro möglichst viel Rendite generiert, bevor er versteuert wird. Ein passives Einkommen aus Kapitalerträgen ist aber nach wie vor eine ökonomisch sinnvolle Option, wenn man sich nicht mehr in der Ansparphase befindet.
Nehmen wir an, man hat die Ansparphase verlassen und die Sparplanrate liegt entsprechend bei 0 Geldeinheiten. Um mit Dividenden ein passives Einkommen zu generieren, muss man sich auf diejenigen Unternehmen beschränken, die Dividende auszahlen. Das müssen aber nicht die Unternehmen sein, deren Aktienkurs sich am besten entwickelt. Ein Unternehmen kann z.B. die Strategie verfolgen, alle Gewinne wieder in das eigene Wachstum und die eigene Zukunft zu re-investieren. Nach meinem Verständnis nennt man das Wachstumsstrategie. Viele der erfolgreichsten Unternehmen des letzten Jahrzehnts verfolgen eine solche Wachstumsstrategie. Man hat demnach möglicherweise Opportunitätskosten, wenn man auf eine Dividendenstrategie setzt. Das sind keine echten Kosten, sondern verpasste Rendite. Anstatt Dividenden zu beziehen, kann man bei heutzutage vernachlässigbaren Transaktionskosten Kapital aus dem eigenen Aktienportfolio entnehmen, indem man regelmäßig Anteile verkauft. Das folgende Zitat aus einem Blog von Gerd Kommer et. al., der das Thema ausführlich behandelt, gefällt mir besonders gut: “Dass Privatanleger hohe Dividendenrenditen emotional als besonders anstrebenswert einstufen – statt rational auf die allein relevante Gesamtrendite einer Aktie abzustellen – ist einer der viele [sic] kognitiven Anlegerirrtümer, den das Forschungsgebiet Behavioural Finance in den vergangenen Jahrzehnten dokumentiert hat.“*abgerufen am 04. April 2021 Interessanterweise hat das Feld Behavioural Finance sich auch mit der Angst, Rendite zu verpassen (Fomo)*Fear of missing out, beschäftigt. Wenn ich also der Dividendenverlockung erliege, ist meine Fomo wahrscheinlich berechtigt. Ich verstehe natürlich, dass sich ein Einkommensstrom durch Dividenden gut anfühlt, auch wenn sich anscheinend ökonomisch bessere Entscheidungen aufdrängen.
Wenn ich ein passives Einkommen aus Kapitalerträgen generieren will, würde ich wie folgt vorgehen.
- Überlege, wie hoch das Einkommen sein soll und wie lange es bezogen werden möchte, z.B. 1000 Euro monatlich für den Rest des Lebens.
- Spare möglichst schnell durch 100%-ige Re-Investition aller Dividenden genug Kapital an, um das Einkommen über den gewünschten Zeitraum auszahlen zu können. Achte dabei nicht auf Wertpapiere die besonders hohe Dividenden ausschütten, um Opportunitätskosten zu vermeiden.
- Entnehme nach Erreichen der nötigen Summe monatlich den gewünschten Betrag dem Aktienportfolio. Ob das durch Dividendenausschüttung oder Verkauf von Anteilen passieren sollte, spielt eine untergeordnete Rolle*Auf Dividenden muss man Kapitalertragssteuer zahlen. Aktienverkäufe sind nur zu versteuern, wenn es sich um realisierte Kursgewinne handelt, was hoffentlich meistens der Fall ist. Dafür fallen bei Dividenden keine Transaktionskosten an.. Schichte auch jetzt nicht auf dividendenstarke Wertpapiere um, damit keine Opportunitätskosten entstehen.
Jetzt könnte man sich denken: “Tolle Tipps. Die bringen nur leider nichts. Woher weiß ich denn, wie viel Kapital ich für welchen monatlichen Auszahlungsbetrag benötige, du Schlaufuchs?” Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, habe ich im Folgenden ein bisschen gerechnet und einen Rechner gebastelt, so dass der gewillte Leser am Ende des Artikels seine persönlichen Zahlen eingeben kann.
Passives Einkommen nach der Ansparphase
In diesem Abschnitt leite ich eine Antwort auf folgende Frage her.
Wie viel Kapital muss man ansparen, um in der Entsparphase über einen gewissen Zeitraum einen Einkommensstrom einer gewissen Höhe generieren zu können?
Wer keine Lust auf Formeln schubsen hat, kann auch direkt runter zu den Rechnern scrollen und konkrete Zahlen eingeben. Ich wiederhole, dass ich kein Finanzexperte bin und das Folgende meinem mehr oder weniger gesunden Menschenverstand entsprungen ist. Ich hätte das sicher auch in irgendeinem Buch oder Skript nachschlagen können. Fehler dürfen gerne bei mir gemeldet werden.
Berechnung
Es sei $W_{i\tau}\in\mathbb{R_{\geq 0}}$ der Kurswert des $i$-ten Wertpapiers im Portfolio zum Zeitpunkt $\tau$. Die Häufigkeit des Vorkommens eines Wertpapiers zum Zeitpunkt $\tau$ bezeichnen wir mit $x_{i\tau}\in \mathbb{R_{\gt 0}}.$ Weiter sei $p_\tau=\sum_iW_{i\tau}\frac{x_{i\tau}}{\sum_jx_{j\tau}}$ der gewichtete mittlere Kurswert der Aktien des Portfolios.
Es sei nun $a$ der Betrag, den man jeden Monat entnehmen möchte und $K_0=\sum_iW_{i0}x_{i0}$ der Gesamtwert des Aktienportfolios zum Startzeitpunkt der Entsparphase. Weiter sei $w_t=\frac{p_t}{p_{t-1}}$ der relative Kurswert zum Ende des Monats $t\in\mathbb{N}\setminus{{0}}$ und $w_0=1$. Beispielsweise wäre $w_1=2$, wenn sich der gewichtete mittlere Kurswert in Monat $1$ verdoppeln würde. Die erste Entnahme erfolge nach einem Monat also zum Zeitpunkt $t=1$ bei relativem Kurswert $w_1$. Um das Kapital nach der ersten Entnahme $K_1$ zu ermitteln, berechnen wir das dem relativen Kurswert zum Zeitpunkt $t=1$ entsprechende Aktienvermögen $K_0w_1=K_0\frac{p_1}{p_0}$ und ziehen davon den Entnahmebetrag $a$ ab. Wir erhalten entsprechend $K_1=K_0w_1-a.$ Das lässt sich weiter fortführen zu $K_2=K_1w_2-a$ und $K_3=K_2w_3-a$. Durch Einsetzen von $K_1$ in $K_2$ und $K_2$ in $K_3$ ergibt sich $$K_3=((K_0w_1-a)w_2-a)w_3-a$$ $$=K_0w_1w_2w_3-a(w_2w_3+w_3+1)$$ was zu $$K_m=K_0\prod_{t=1}^mw_t-a(\sum_{k=2}^m\prod_{t=k}^mw_t+1)$$ verallgemeinert wird, wobei $K_m$ dem Wert des Aktienportfolios nach $m$ Monaten entspricht. Wir formen weiter nach $$K_0=\frac{K_m}{\prod_{t=1}^mw_t}+\frac{a(\sum_{k=2}^m\prod_{t=k}^mw_t+1)}{\prod_{t=1}^m w_t}$$ $$=\frac{K_m}{\prod_{t=1}^mw_t}+\sum_{k=2}^m\frac{a}{\prod_{t=1}^{k-1}w_t}+\frac{a}{\prod_{t=1}^m w_t}$$ um. Wir unterscheiden zwei Fälle.
-
Kapital bleibt erhalten
Falls man das passive Einkommen für immer beziehen möchte, entspricht das $K_m=K_0$ und somit $$K_0=\frac{K_0}{\prod_{t=1}^mw_t}+\sum_{k=2}^m\frac{a}{\prod_{t=1}^{k-1}w_t}+\frac{a}{\prod_{t=1}^m w_t}.$$ Das ist äquivalent zu $$K_0=(\sum_{k=2}^m\frac{a}{\prod_{t=1}^{k-1}w_t}+\frac{a}{\prod_{t=1}^m w_t})/(1-\frac{1}{\prod_{t=1}^mw_t}).$$ Mit $w_t>1$ für fast alle $t$ bemerken wir, dass $\lim_{m\rightarrow\infty}(1-\frac{1}{\prod_{t=1}^mw_t})= 1.$
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Kapital wird verzehrt
Verzehrtes Kapital nach $m$ Monaten bedeutet $K_m=0$. Man benötigt entsprechend ein Startkapital von $$K_0=\sum_{k=2}^m\frac{a}{\prod_{t=1}^{k-1}w_t}+\frac{a}{\prod_{t=1}^m w_t}.$$ Das folgende Elm Rechnungs-Tool verwendet diese Formel. Modulo Bugs.
Rechnungs-Tool in Elm
Anstelle des wahren Kursverlaufs eines Wertpapier-Portfolios berechnet das Tool Entsparpläne vereinfacht anhand jährlicher Rendite. Daraus wird, wie im folgenden Plot für 10% jährliche Rendite exemplarisch dargestellt, ein Kursverlauf simuliert, der mit der obigen Formel verwendet werden kann. Man beachte wie das exponentielle Wachstum, das dem Zinseszinseffekt zu verdanken ist, in 30 Jahren den Preis mehr als verfünfzehnfacht. Im Vergleich dazu vervielfacht sich der Preis bei 5% jährlicher Rendite nach 30 Jahren um einen Faktor von ca. 4,32.
Neben dem Entsparplanrechner habe ich noch einen Sparplanrechner beigefügt. So kann man auch gleich ausrechnen, wie lange man ungefähr für sein passives Einkommen sparen muss. Falls man das passive Einkommen für immer beziehen möchte, kann man als Approximation eine große Anzahl an Jahren in den Rechner eingeben. Die Anzahl der Jahre ist auf 399 beschränkt.
Einige technische Details der Implementierung des Sparplanrechners habe ich in einem vorherigen Artikel beschrieben. Der Code ist auf Github.